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Kolumnen

Im Kino nur das Kino! Oder: Mein Sandkasten!

Ein Beitrag von Lars Dolkemeyer

Ah, die Cinephilie, welch schöne Leidenschaft! Die Liebe zum Film! Also – zum Kino. Zum Film im Kino. Aber nur zum Kino-Film im Kino. … Oder nicht?

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"Cinema Paradiso" von Giuseppe Tornatore
"Cinema Paradiso" von Giuseppe Tornatore

Etwas ist geschehen mit der Begeisterung für das Kino. Musste sie sich noch zu Beginn des neuen Jahrtausends im grellen Schattenwurf der Digitalisierung irgendwie dazu verhalten, dass Filme nun keineswegs allein mehr im Kino und dort auch nicht mehr auf „echtem“ Filmmaterial zu sehen waren, so werden seit wenigen Jahren – seit der globalen Ausbreitung der US-Streaming-Konzerne – Stimmen lauter, die die Liebe zum Film wieder streng auf das Kino verengen wollen. Und dabei soll gleich noch festgelegt werden, was dort überhaupt zu laufen hat und was nicht. Das ist rückständig und betrüblich.

Zwei Herzen schlagen so in der Brust des Festival- und Arthouse-Publikums, üblicherweise derjenigen Gruppe von Menschen, die sich selbst als Cinephile oder Cineasten bezeichnen würden. Auf der einen Seite zuletzt immer lauter zu hörende Rufe besorgter Filmliebhaber: Streaming-Anbieter bedrohen unser heiliges Kino! Netflix-Produktionen dürfen nicht auf der Berlinale laufen und schon gar keinen Oscar bekommen! Auf der anderen Seite wird aber gerade – und von genau denselben Menschen – das Festival als Ort besonderer Filme gefeiert, die sonst nicht im Kino laufen und nun doch auf der Leinwand zu sehen sind. Wie lassen sich diese Bestrebungen vereinen? (Spoiler: Kaum.)

 

Wo bleibt die Liebe zur Leinwand?

Bei der Berlinale kam es in diesem Jahr kurz zur Diskussion darüber, ob denn die Netflix-Produktion Elisa y Marcela (Isabel Coixet, 2019) überhaupt im Wettbewerb laufen dürfe – schließlich handele es sich dabei ‚nur‘ um einen Streaming-Film. Geht man einmal über die völlig unmögliche Arroganz jener vorgeblichen Cinephilen (ausgerechnet die Arthouse-Vereinigung AG Kino – Gilde e.V.) hinweg, die in diesem Vorwurf tief verankert liegt, irritiert vor allem die ökonomische Argumentation: Man solle doch nicht noch jene Konzerne fördern, die den Untergang des Kinos endgültig besiegeln.

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Skurril ist nicht allein die Tatsache, dass diese Angst des Kinosterbens nun wirklich so alt ist wie das Kino selbst (Das böse Fernsehen! Der böse Videorekorder! Das böse Internet! Alle sind sie böse zu uns!). Skurriler ist der Umstand, dass die Diskussionen der Berlinale parallel zur Veröffentlichung der aktuellen Besucher- und Einnahme-Statistiken der Kinobranche geführt wurden. Diese sprechen eine andere Sprache: Zwar sind die Einnahmen in der Tat ein wenig im Vergleich zum Vorjahr zurückgegangen – in der Perspektive der vergangenen Jahre sieht der Trend jedoch keineswegs besorgniserregend aus. Die Besucherzahlen bleiben bei kleineren Schwankungen recht stabil. Die Zahl der Kinos und Leinwände ist sogar gestiegen und bei alldem ist zu bedenken, dass 2018 einen ungewöhnlich langen und geradezu übermäßig sonnigen Sommer hatte – in der Regel nicht die beste Bedingung für durchgehend starke Besucherzahlen.

Also doch: Mehr Arroganz als ernstzunehmende Sorge. Und das ist doch, möchte ich meinen, einigermaßen verwunderlich. Wie kann man das Kino lieben – oder vorgeben zu lieben – und dann streng auf Basis der beteiligten Produktionsfirmen reglementieren wollen, wer Zugang zu dieser sakralen Spielstätte bekommt und wer nicht? Gerade ein Festival wie die Berlinale lebt ja davon, dass in allen Sektionen – selbst im Wettbewerb – Filme zu sehen sind, die im alltäglichen Kinoprogramm entweder unterzugehen drohen oder häufiger gar nicht erst den Weg dorthin finden, in vielen Fällen nicht einmal eine international verfügbare Heimkino-Edition erhalten.

Oder um den offenen Brief der AG Kino zu zitieren: „Die Sichtbarkeit von Filmen und der gesellschaftliche Diskurs auf den großen Leinwänden weltweit steht hier gegen die Exklusivität bei einem Global Player und eine Sichtbarkeit nur auf dem kleinen Schirm.“ Die Sichtbarkeit dieser Filme aber verteidigen zu wollen und gleichzeitig jenen Filmen eine Absage zu erteilen, die nun einmal von einem großen Streaming-Anbieter – und sei es auch mit seinem „erzkapitalistischen Geschäftsmodell“ – produziert wurden, ist aber in keiner Weise nachvollziehbar.

Denn wer könnte sich ernstlich daran stören, einen Film, ganz egal welchen Film, auf einem Festival in den bestmöglichen Bedingungen – nämlich im Dunkel des Kinosaals, gemeinsam mit vielen anderen Menschen – zu sehen und ihn womöglich mit einer Auszeichnung zu prämieren, so er sie in den Augen der Jury verdient hat?

 

Wo bleibt die Liebe zum Abseitigen?

Es ist ein Argument, das in den USA nach der Oscar-Verleihung gerade nicht vonseiten der Arthouse-Kinos vorgebracht wurde, sondern ausgerechnet vom „erzkapitalistischen“ König des internationalen Mainstream-Kinos höchstpersönlich: Steven Spielberg. Dort war es Roma, der neue Film von Alfonso Cuarón, der Anstoß erregte, ebenfalls eine Produktion von Netflix. Spielberg kündigte an, sich in Zukunft verstärkt dafür einzusetzen, dass Netflix und den anderen Streaming-Anbietern der Zugang zu den Oscars erschwert wird. Auch hier: Ein Protagonist der Filmindustrie, dessen ökonomische Vormachtstellung nicht bedroht ist, nutzt diese Macht, um es anderen Kindern schwer zu machen, in seinem Sandkasten zu spielen.

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Das soll nicht heißen, dass Netflix, Amazon Prime und andere große Anbieter nun besonders schutzbedürftig wären, und noch viel weniger soll damit gesagt sein, dass die Praktiken dieser Konzerne das abseitige, interessante, kleine Kino besonders fördern würden und unbedingt dafür ausgezeichnet gehörten. Es geht aber um eine prinzipielle Frage, die eben nicht nur die großen Dienste betrifft, sondern auch all diejenigen Anbieter, die tatsächlich auf abseitige, Filme außerhalb der Mainstream-Grenzen setzen und diese aktiv fördern. Auch ihnen wird hier der Kampf angesagt.

Allen voran ist dies natürlich MUBI. Erst kürzlich erläuterte Geschäftsführer Efe Çakarel in einem Interview, wie er das Wechselverhältnis zwischen Kino und Streaming sieht und wie er dessen Zukunft einschätzt: Dabei hob er vor allem das in Großbritannien bereits erfolgreiche Modell MUBI Go hervor – der Anbieter bringt Filme, für die es sonst keine Streaming-Rechte gäbe, in ausgewählte Kinos, für Abonnenten des Dienstes sogar kostenlos. Außerdem will MUBI selbst zunehmend Filme verleihen (in Großbritannien bislang unter anderem ausgerechnet die letzten Berlinale-Gewinner Körper und Seele (Ildikó Enyedi, 2017) sowie Touch Me Not (Adina Pintilie, 2018) – Ha Ha!). Und selbst die Produktion eigener Filme steht in den Startlöchern. Bei alledem bleibt die grundlegende Strategie gerade dasjenige Merkmal, das MUBI von den großen Anbietern abhebt: sorgfältige Kuration.

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Wo bleibt die Liebe zur Vielfalt?

Dass das Kino sich also bedroht sieht, mal wieder, immer wieder, ist nichts Neues. Und auch dieses Mal wird eine neue Technologie pauschal als Gegner auserkoren. In diesem Fall führt das dazu, dass diese Technologie, das Online-Streaming, plötzlich synonym zu ihren zwei bislang größten Unternehmen, Netflix und Amazon Prime, verteufelt wird. Seitenblicke auf die Vielfalt kleinerer Streaming-Anbieter – die es sowieso schon vergleichsweise schwer haben, sich einen Marktanteil zu erarbeiten – bleiben gänzlich aus. Man könnte sagen: Das Kino kämpft gegen die Vielfalt der Filme.

Denn wäre es nicht auch denkbar, jene Vielfalt zu feiern, die sich mit den Möglichkeiten des Online-Streamings eröffnet? Wäre es nicht schön, sich darüber freuen zu können, dass es neben den etablierten Produktionsfirmen des Kinos – die selbstverständlich gar nicht „erzkapitalistisch“ operieren … – auch immer mehr andere Blicke auf die Welt gibt, die den Weg auf die Leinwand oder sei es auch nur den Weg auf den Bildschirm finden? Wäre es nicht die Aufgabe echter Cinephilie, sich mit aller Macht gerade dafür einzusetzen, dass mehr Filme auf Leinwänden oder überhaupt zu sehen sind? Und nicht – man könnte sagen: erpresserisch – zu versuchen, diese Verantwortung an die Streaming-Konzerne zurückspielen?

Es bleibt die Hoffnung, dass beide Seiten das Potenzial erkennen, dass sich aus innovativer Zusammenarbeit ergeben könnte, ganz wie MUBI es zumindest in Großbritannien bereits vormacht. Denn natürlich – auch wenn die Zahlen noch stabil sind – ist das kontinuierliche Abnehmen der Kino-Vorherrschaft in den nächsten Jahren und Jahrzehnten naheliegend.

Unter dem Vorwand, das Kino „als Ort des demokratischen Diskurses für alle Menschen“ verteidigen zu wollen, werden nun aber mit einer Kampfgeste auch jene Streaming-Dienste wie Filmfriend oder La Cinetek angegriffen, die sich für historische oder eben Arthouse-Filme einsetzen – und damit den demokratischen Zugang zum Film gerade zu erhalten versuchen, was man durchaus Cinephilie nennen könnte. Die Einschließung im eigenen Kinodunkel, das nur bespielen darf, wer sich brav an die „funktionierenden Gepflogenheiten“ hält, die der AG Kino-Brief heraufbeschwört – das hat allerdings wenig mit Liebe zum Kino und Liebe zum Film zu tun.

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